Schotties Geschichte

Es war ein gut gehütetes Geheimnis in der DDR und Stasi-Ermittler trieb es fast in den Wahnsinn! 1969 waren an der Humboldt-Uni regimefeindliche Flugblätter aufgetaucht. Die lösten eine der aufwendigsten Fahndungsaktionen Ost-Berlins aus. Erwischt wurden die Urheber Rainer Schottländer und Michael Müller nie. Obwohl Mielkes Truppe ihnen sehr, sehr dicht auf den Fersen waren.

Schottländer (59, lebt in Köpenick) hat ein Buch über die Ereignisse von damals geschrieben (im Eigenverlag), erinnert sich: „Wir waren Physik-Studenten, standen unter den Eindrücken der Niederschlagung des Prager Frühlings.“ So entstand die Idee, zum Boykott der Vorlesungen im marxistischen Pflichtfach „Gesellschaftswissenschaften“ aufzurufen. Schottländer tippte auf einer alten Schreibmaschine mit Durchschlagpapier Sätze wie: „Ist es nicht bedrückend, dass nach 20 Jahren sozialistischen Aufbaus die Struktur unserer Gesellschaft noch immer autoritär und undemokratisch ist?“ Oder: „Es werden doch die elementarsten Freiheiten unterdrückt.“ 20 cm hoch, 14 cm breit, drei Gramm Gewicht hatten die Flugblätter. Es gab nur wenige hundert davon. Bei der Stasi schrillten alle Alarmglocken.

Sie durchleuchtete 9000 Studenten, überprüfte 6000 Schreibmaschinen, glich das Schriftbild auf den Flugblättern mit Personalausweis-Anträgen ab, installierte Kameras auf dem Uni-Gelände. Schottländer und Müller hatten die Fahnder schnell im Visier. Überführt werden konnten sie trotz Spitzel-Einsätze, heimlichen Hausdurchsuchungen nicht. Die Schreibmaschine hatte Müller in einer Klosterkirche in Sachsen versteckt. Sein Vater war Pfarrer. Schottländer: „Die Fahndung kostete rund 1,5 Millionen DDR-Mark“. Sein Buch heißt „Das teuerste Flugblatt der Welt“. In einem Verhör stritt er ab, es verfasst zu haben. Als Vernehmer ihm eines der Exemplare vorlegten, sagte er: „Gefällt mir gut. Leider nicht von mir.“ 1973 stellte die Stasi ihre Nachforschungen („Operativer Vorgang: Aufwiegler“) ein.

In den Knast kam Schottländer dennoch. 1971 scheiterte sein Fluchtversuch über die Grenze von Ungarn nach Jugoslawien (zweieinhalb Jahre Haft), danach kaufte ihn die Bundesrepublik frei. 1989 lebte Schottländer in San Diego (USA): „Als ich die TV-Bilder der tanzenden Menschen auf der Mauer sah, sprang ich spontan aufs Klavier, tanzte mit.“ Der Diplom-Physiker hatte beruflich umgesattelt, schrieb Kabarett-Sketche, Lied-Texte. Einige von ihnen spielt Schottländer mit Gitarre am 13. August (am Tag des Mauerbaus) vorm DDR-Museum in der Karl-Liebknecht-Straße 1 (Mitte, ab 19 Uhr, Eintritt frei).

Sein Programm heißt „Lügenpartei mit drei Buchstaben“. Schottländer augenzwinkernd: „Damit meine ich gewiss nicht nur die SED.“

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